Raus aus dem Hörsaal, rein in die Natur!

"Die Natur ist die beste Apotheke", das wusste bereits schon Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp im 19. Jahrhundert. Doch wie sehen Digitalis (Fingerhut), Atropa (Tollkirsche) und Co. in ihrem natürlichen Habitat aus? Die schwarz-weißen 2D-Bilder unserer Vorlesungsunterlagen geben zwar einen groben Überblick, können diese Naturkunstwerke aber niemals in ihrer vollen Pracht darstellen. Umso wichtiger ist es daher für uns Pharmaziestudierende, die echten Standorte kennenzulernen und die Arzneipflanzen im weiteren Sinne zu "begreifen".

Die Pharmakobotanische Exkursion des Postgraduate Center der Universität Wien bietet seit vier Jahrzehnten Studierenden und Praktiker*innen die Gelegenheit, heimische Arzneipflanzen in der Natur zu erkunden und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten in der Phytotherapie kennenzulernen. Die diesjährige Exkursionswoche führte ins Ausseerland. Mit 1650 m Seehöhe gilt die steirische Tauplitz als höchstes Seenhochplateau Mitteleuropas und beheimatet eine unglaubliche Vielfalt an heimischen Arzneipflanzen. Demnach ein wahres Paradies für Pflanzenbegeisterte und Naturliebhaber. Unter der fachkundigen Leitung von Johannes Saukel, Sabine Glasl-Tazreiter und David Prehsler erkundeten wir Tag für Tag die beeindruckende Flora der Tauplitzer Hausberge und vertieften unser Wissen im abendlichen Seminarprogramm.


Wie sieht ein typischer Tag im Rahmen der pharmakobotanischen Exkursion aus?

Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es morgens in die Berge. Ausgerüstet mit Notizbüchern, Proviant und Regenschutz starten wir unsere Wanderroute. Je nach Wanderung fällt die Route einmal gemütlicher aus, ein anderes Mal sind viele Höhenmeter zu überwinden – der Ausblick und die wunderschönen Landschaften am Weg sind die Anstrengung aber wert. Einmal erklimmen wir den Gipfel des G’wendlingsteins, ein anderes Mal erkunden wir die Umgebung der traumhaften Bergseen. Wälder, Wiesen, Seeufer, Almen, Moore – alle Gebiete haben eine interessante und vielfältige Flora zu bieten. Im Laufe der Wanderung legen wir immer wieder Stopps ein, um verschiedene Pflanzen zu besprechen. Wir lernen, wie man sie anhand charakteristischer Erkennungsmerkmale bestimmen kann, welcher Pflanzenfamilie sie zugehören und ihre pharmazeutische Bedeutung, als auch ihre traditionelle volksmedizinische Anwendung. Am späten Nachmittag – oder selten auch schon früher aufgrund eines kommenden Gewitters – kehren wir ins Hotel zurück. Nach einem gemütlichen Abendessen geht es wieder zur Sache: die mitgenommenen Pflanzen werden beschriftet und nach Pflanzenfamilien geordnet. Dank dieser Wiederholung bleiben uns die gelernten Informationen auch besser in Erinnerung. Wir lassen den Abend ruhig ausklingen und machen uns bereit, die Pflanzenwelt von Tauplitz am folgenden Morgen weiter zu entdecken.
 

Ist das Wissen rund um Heilpflanzen bald ausgeschöpft?

Auf unseren täglichen Wanderungen besprechen wir neben gängigen Arzneipflanzen auch Gewächse mit erstaunlichen Fähigkeiten, die bislang nur wenig Verwendung in der Pharmazie finden. Dass Heilmechanismen und Stoffe aus der Natur für den Menschen förderlich sein können, weiß man schon seit geraumer Zeit. Allerdings ist das Reservoir noch lange nicht ausgeschöpft. Wir besprechen altertümliche Anwendungen in der Volksmedizin und stellen sie modernen Studienergebnissen gegenüber. Es war spannend, von der Exkursionsleitung über die pharmakologischen Wirkungen zu erfahren und so manchen Wirkmechanismus mit bekanntem Vorwissen aus dem Studium zu verknüpfen. 

Wir lernen, dass viele Apiaceae Virostatika darstellen, die einerseits asthmatische Lungenfunktionen verbessern und nach langfristiger Einnahme antiallergisch wirken können. Wir besprechen die heilende Wirkung von Baumharzen, die durch antiseptische Komponenten den Wundverschluss der Bäume unterstützen. Die Diskurse über verschiedene pflanzliche Zubereitungen und Inhaltsstoffe bereiten eine gute pharmazeutische Beratungsgrundlage und führen uns vor Augen, dass Interesse und weitere Forschung in diesem Bereich nützlich und notwendig sind.


Wissensaustausch mit Fachexpert*innen unterschiedlicher Praxisfelder

Ein besonderer Aspekt dieser Exkursion war, dass wir die Möglichkeit hatten, mit Fachleuten unterschiedlicher pharmazeutischer Praxisfelder in Kontakt zu treten. Neben uns Student*innen waren auch Pharmazeut*innen, Apothekenleiter*innen und Ärzt*innen Teil unserer Gruppe, von denen viele schon seit zwei Jahrzehnten an diesen Exkursionen teilnehmen. Ihre Begeisterung für die Pharmakobotanik war ansteckend und ihr Wissen über die heimische Flora faszinierend. Die Wanderungen waren eine hervorragende Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen und somit auch wertvolle Kontakte für unsere Zukunft zu knüpfen.

Abschließend können wir festhalten, dass die pharmakobotanische Exkursion nach Tauplitz eine außergewöhnliche Veranstaltung war, die unser Studium auf besondere Art bereichert hat. Die Möglichkeit, traditionelle Heilpflanzen in ihrer natürlichen Umgebung zu erforschen und von Expert*innen zu lernen, hat unsere Begeisterung für die Pharmakognosie noch weiter gestärkt. Es war eine großartige Erfahrung, die wir unseren jungen Kolleg*innen auf jeden Fall weiterempfehlen!

Unser besonderer Dank gilt den Stipendiengeber*innen, die mit ihrer Unterstützung Türen geöffnet und neue Horizonte aufgezeigt haben. Das Bereitstellen von Stipendien ist für uns Studierende von großer Bedeutung, da es uns ermöglicht, unabhängig von unseren finanziellen Ressourcen an der Exkursion teilzunehmen. Dies ist eine einmalige Chance, wertvolle Erfahrungen zu sammeln, das Verständnis für pharmakobotanische Zusammenhänge zu vertiefen und die berufliche Entwicklung zu fördern.
 

Stipendien der führenden pharmazeutischen Unternehmen Adler Apotheke, Apomedica GmbH, Gatt – Koller GmbH und der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie ermöglichten sieben Pharmazie-Studierenden, an der Pharmakobotanischen Exkursion des Postgraduate Center der Universität Wien ins steirische Salzkammergut teilzunehmen. Die Studierenden Sophie Huber, Nicole Kleebauer, Laura Revuelta Nohl, Julia Schröckenfuchs und Dagmara Widzisz teilen hier ihre Eindrücke.

Fotos: privat

Fotoeindrücke der Exkursion 2023